Attentat auf Polizeichef Mannichl: Ein Jahr der Angst
PASSAU - Auch zwölf Monate nach dem Angriff auf Alois Mannichl ist der Täter noch nicht gefasst. Passaus ehemaliger Polizeichef über die schlimmste Zeit seines Lebens.
Es gibt Streichleberwurst, Himbeerbowle und selbst gebackene Kekse. Die Nachbarn stehen vor einer mit Sternen geschmückten Garage, plaudern, wärmen sich an ihren Tassen. Bereits zum achten Mal laden die Anwohner der kleinen Straße in Fürstenzell bei Passau zum „begehbaren Adventskalender“ ein. Bis Weihnachten bewirtet jeden Tag eine andere Familie die Gäste, alle haben ihre Fenster, Garagen, Fassaden liebevoll geschmückt. Die Spenden für Punsch und Gebäck gehen ans Freibad.
Es ist fast wie in den Jahren zuvor. Aber eben nur fast. Die Unbeschwertheit des nachbarschaftlichen Brauchs ist dahin, seitdem Alois Mannichl in dieser Straße vor genau einem Jahr, am 13. Dezember 2008, an seiner Haustür niedergestochen wurde. Fremde werden misstrauisch beäugt.
„Es gibt vieles, unter dem wir sehr gelitten haben“
Anneliese Mannichl hatte das Fenster über dem Eingang ihres Doppelhauses im vergangenen Jahr mit zwei lachenden Schneemännern und der Zahl 10 geschmückt. Drei Tage später klingelt es um 17.34 Uhr an der Haustür. Ihr Ehemann, damals Polizeichef von Passau, öffnet. Ein Mann steht ihm gegenüber, etwa 25 bis 30 Jahre alt, kräftig und mit sehr kurzen Haaren. Er sagt zu Alois Mannichl: „Viele Grüße vom Nationalen Widerstand. Du linkes Bullenschwein, du trampelst nimmer auf den Gräbern unserer Kameraden rum.“ Dann sticht er ihm ein Messer in die Brust. Die Tatwaffe war am 10.Dezember, als die Mannichls zur „Fensteröffnung“ einluden, offenbar draußen liegen geblieben. Bis heute ist der Messerstecher – vermutlich ein rechtsextremer Einzeltäter – nicht gefasst. Die Hoffnung der Ermittler ist nicht groß, ihn bald fassen zu können: Bald soll die Soko auf zwei Ermittler reduziert werden.
Das Ehepaar Mannichl und seine beiden erwachsenen Kinder haben ein hartes Jahr hinter sich. „Es gab vieles, unter dem wir wirklich sehr gelitten haben“, sagt Alois Mannichl.
Ausgerechnet er, der starke Polizeichef, der es bis ganz nach oben geschafft hatte, der Vorkämpfer gegen Rechtsextreme, der sich durch nichts einschüchtern ließ, erlebte plötzlich Schwäche. Zuerst der tätliche Angriff aus heiterem Himmel. Noch heute wirkt der Leitende Polizeidirektor fahrig, wenn er über den Anschlag spricht: „Ich hatte Todesangst, ich habe um mein Leben gekämpft“, betont er immer wieder. Als müsse er sich rechtfertigen für die Angst, die danach kam.
Der Polizeichef wurde notoperiert, gerettet – doch die Furcht blieb. „Am Anfang war unser gesamtes Leben nur von Angst geprägt. Es besteht ja die Gefahr, dass der Täter irgendwann wieder auftaucht, um sein Werk zu vollenden.“ Die Furcht kommt, wenn es an der Tür klingelt. Oder manchmal, wenn er abends von seiner neuen Dienststelle in Straubing nach Hause fährt, wo er als ranghöchster Kriminaler Niederbayerns für die Verbrechensbekämpfung zuständig ist. Fährt ein Auto zu dicht auf oder länger hinter ihm, beschleicht sie ihn. „Früher habe ich keinen Gedanken an so etwas verschwendet. Heute frag’ ich mich, ob ich verfolgt werde.“
Brutale Hetze im Internet
Alois Mannichl hat viel Geld in die Sicherheit seines Hauses investiert. Auf seinem Klingelschild steht zwar nach wie vor sein Name, aber die Tür ist neu, der Eingang videoüberwacht. Im Ort wird erzählt, nach wie vor würden Streifenwagen vorbeifahren.
Schlimmer als alles andere haben dem Polizisten und seiner Familie die Gerüchte und Verdächtigungen sowie Verunglimpfungen im Internet zugesetzt. „Schon vor dem Anschlag wurde im Internet brutal gegen mich gehetzt. Aber was danach kam, hat mein Vorstellungsvermögen überschritten.“ Neonazis wiegelten sich gegenseitig auf: „Da wurde diskutiert, wie man diese ,Drecksau’ umbringen kann, am nächsten Baum aufhängen, Gurgel durchschneiden...“, sagt Mannichl.
Nachdem die Ermittlungen in der rechtsextremen Szene nicht zum schnellen Erfolg geführt hatten, wurden plötzlich die Mannichls zu Verdächtigen: Er selbst habe sich das Messer in die Brust gerammt. Die Frau war’s, weil sie einen Freund hat. Er habe eine Geliebte. Der Sohn war’s. Sogar Polizisten äußerten hinter vorgehaltener Hand: „An der Geschichte stinkt was.“ Dass Mannichl anfangs so viel Zuspruch von Politikern erhalten hatte, stieß manchem auf. Einige unterstellten ihm: „Der wollte doch nur einmal im Leben der Held sein.“
Auch in Fürstenzell trieben die Gerüchte wilde Blüten. Mannichl erinnert sich an einen Samstag, als seine Frau mit feuchten Augen vom Bäcker kam. Sie hatte mitbekommen, wie eine Frau erzählt hatte: „Es kann ja nur der Sohn gewesen sein, wie der schon ausschaut!“
Mannichl sagt: „Es gab viele Tränen.“ Der 52-Jährige suchte die Hilfe eines Psychologen. „Früher war ich ein Gegner von solchen Sachen. Aber wenn man selber in so eine Situation kommt und wenn man in der Verantwortung gegenüber der Familie und Kollegen steht, muss man über seinen Schatten springen.“ Sämtliche Verdächtigungen gegen die Familie wurden von Staatsanwaltschaft und Soko als haltlos ausgeräumt.
„Ein Polizeibeamter ist auch nur ein Mensch“
Mannichl glaubt heute, dass seine berufliche Stellung für ihn als Opfer ein Nachteil war. „Man glaubt, so einer müsste die Situation anders meistern.“ Wie kann ein Polizeichef so leichtsinnig sein? Wie kann er den Täter flüchten lassen? Wieso beschreibt er ihn so schlecht? „Ich gebe zu bedenken: Ein Polizeibeamter, egal welche Position und welchen Dienstgrad er hat, ist auch nur ein Mensch.“
Auch für die Ermittlungen war der Umstand, dass er Chef und Opfer war, wahrscheinlich ein folgenschwerer Nachteil. Die Grenzen verschwammen: Der Chef wollte, dass seine Leute die Ermittlungen übernehmen. Das Opfer dachte nicht daran, dass man unter seinen Fingernägeln nach DNA des Täters hätte suchen müssen. Und auch sonst niemand. Erst nach zwei Wochen übernahmen unabhängige Beamte des Landeskriminalamtes und die Münchner Mordkommission den Fall.
Inzwischen, nach einer Serie von Pannen, setzen die Ermittler auf Zeit und die hohe Belohnung von 20000 Euro. In Fürstenzell ist die Hoffnung nicht groß, dass der Täter noch geschnappt wird. „Da glaubt niemand mehr dran“, sagt ein Gastwirt. Immerhin haben sich die Neonazis, die sich früher in „Traudl’s Café“ trafen, seit Monaten nicht blicken lassen. Das Haus steht zum Verkauf, die Fenster sind mit Brettern vernagelt.
Das Ehepaar Mannichl hat beschlossen, sein Leben nicht mehr von der Angst beherrschen zu lassen. Auch heuer wieder hat Anneliese Mannichl das Fenster über dem Eingang liebevoll geschmückt. Nachbarn und Freunde kamen. Niemand sprach von dem Anschlag. Am Jahrestag aber will die Familie weit weg sein. Mannichl: „Wir haben alle unheimlich viel mitgemacht. Ich hoffe, dass wir die Tage genießen können.“
Nina Job
AZ-Info: Die Fahndung
Auch ein Jahr nach der Messerattacke auf den Passauer Polizeichef haben die Ermittler keine heiße Spur zum Täter – obwohl sie einen enormen Aufwand betrieben: Die Soko Fürstenzell ging 3000 Hinweisen und Spuren nach und befragte knapp 2100 Personen. Anfangs 50 Mann stark, besteht die Soko derzeit noch aus zehn Ermittlern. Im Januar soll erneut reduziert werden, falls keine neuen Hinweise auftauchen. Noch müssen 430 offene Spuren abgearbeitet werden. Zur Aufklärung des versuchten Tötungsdelikts wurden 20.000 Euro ausgelobt.