Asylunterkunft am Starnberger See gestoppt

München/Seeshaupt – Wochenlang ist eine geplante Asylunterkunft auf einem Millionen-Grundstück des Freistaats mit Blick auf den Starnberger See bundesweit in den Schlagzeilen gewesen. Jetzt ist eine Entscheidung zum umstrittenen Bauvorhaben des Landratsamts Weilheim-Schongau in Seeshaupt gefallen.
"Nach Absprache mit unserer Landrätin kann ich Ihnen mitteilen, dass das Projekt gestoppt wurde", sagt Fritz Egold, Bürgermeister von Seeshaupt, bei einer Bürgerversammlung am Donnerstagabend. Man werde jetzt "machbaren" Vorhaben nachgehen.

Starker Applaus ertönt daraufhin in der prall gefüllten Mehrzweckhalle. "Gott sei Dank", reagiert ein Bürger mit lauter Stimme. Ein anderer Mann spricht vom "gesunden Menschenverstand", der gesiegt hätte.
Bürgermeister von Seeshaupt: "So etwas habe ich in den letzten viereinhalb Jahren noch nie erlebt"
Mehr als 100 Einheimische haben die Veranstaltung besucht, um mit dem Ortsvorsteher und den Gemeinderäten ins Gespräch zu kommen. Gleich zu Beginn zeigt sich Egold von der großen Anteilnahme der Seeshaupter Bürger beeindruckt: "So etwas habe ich in den letzten viereinhalb Jahren noch nie erlebt", sagt der Bürgermeister.
Doch wirklich überraschend ist das hohe Interesse nicht. Der knapp 3200 Einwohner zählende Ort geriet in den letzten Wochen immerhin deutschlandweit ins Rampenlicht.
Für Aufregung sorgten Pläne aus dem Landratsamt. Denen zufolge sollte mitten im noblen Sankt Heinrich – ein Teil der Gemeinde, in dem sich eine Villa an die andere reiht – eine Unterkunft für 99 Geflüchtete entstehen. Errichtet werden sollte sie direkt gegenüber dem Seeufer – unweit eines Campingplatzes und eines Gasthauses – auf einem Areal des Freistaats, das mehrere Millionen wert ist.
Die Errichtung des Flüchtlingsheims am Starnberger See hätte wohl Millionen gekostet
Auf dem Grundstück befand sich früher eine Mülldeponie, deshalb wären wohl Kosten für die Entsorgung von Altlasten im Millionenbereich angefallen.
Die darüber hinaus entstehenden Kosten für den Bau der Asyleinrichtung waren dabei noch gar nicht beziffert, bestätigten mehrere Gemeinderäte der AZ. Billig wäre es jedenfalls nicht geworden: Die Einrichtung sollte mit moderner Photovoltaikanlage und Wärmepumpe ausgestattet werden.

Lokalpolitiker bemängelten, dass das Projekt zum wirtschaftlichen Fiasko werden könnte. Durch ein Flüchtlingsheim würde der Wert des Millionen-Grundstücks massiv sinken. Außerdem hatten Einheimische die Befürchtung, dass sich das Ortsbild im luxuriösen Seeshaupt verschlechtern könnte und die Gemeinde so viele Asylbewerber überhaupt nicht mehr integrieren könne.
"Luxus-Villa"? AfD-Landtagsabgeordnete und rechte Medien heizen Debatte an
Rechte Medien und AfD-Hardliner aus dem Bayerischen Landtag polemisierten das Thema. Sie sprachen von einer "Luxus-Villa für Migranten" und lösten durch überspitzte Darstellungen einen Shitstorm aus, durch den sich Falschbehauptungen lawinenartig verbreiteten.
Das hat auch der Bürgermeister zu spüren bekommen: "Ich habe aus ganz Deutschland Post bekommen", sagt Egold. Teilweise aus "seltsamen" Ecken.
Dankbar ist der Ortsvorsteher zahlreichen engagierten Bürgern, die Briefe an staatliche Institutionen geschrieben haben. Diese hätten möglicherweise zu einem Umdenken geführt. Unter diesen Menschen befindet sich der Seeshaupter Anwalt für Gesellschaftsrecht, Michael H. Böcker. Er schrieb einen Brief an Bayerns Innenministerium.
Einwohner machen mit Briefen an Bayerns Staatsministerien Druck
Darin wies er neben den wirtschaftlichen Faktoren darauf hin, dass die Gemeinde die "landkreisinterne Aufnahmequote" von Geflüchteten bereits übererfüllt habe, der Bebauungsplan in Sankt Heinrich eine "lockere Villenbebauung" vorsieht und das gesamte behördliche Vorgehen rechten Kräften Aufwind bescheren könnte.
"Bisher hat sich in Seeshaupt noch kein Ortsverband der AfD gegründet", schreibt Böcker. "Wir haben erhebliche Befürchtungen, dass es bei der Umsetzung dieser Pläne hierzu kommt."
Was genau die Entscheidungsträger letztlich zur Einsicht gebracht hat, bleibt offen. Seeshaupts Bürgermeister deutete an, dass das Finanzministerium aufgrund der hohen Kosten möglicherweise hellhörig geworden ist.
Ein Sprecher des bayerischen Finanzministeriums verweist auf Anfrage der AZ allerdings auf das Innenministerium.
Hat Bayerns Innenministerium ein Machtwort gesprochen?
Auch dort spricht man von einem Streit, der von "gewissen Kreisen" geschürt wurde. Dabei sei der falsche Eindruck erweckt worden, dass der Freistaat gezielt Grundstücke in Bestlage für Asyleinrichtungen nutzt – ohne dabei das Geld im Auge zu haben.
Das Innenministerium wehrt sich gegen die Vorwürfe. Das Landratsamt habe sich in einer "ganz frühen Sondierungsphase" befunden. "Von einer konkreten Planung oder gar Umsetzung kann keine Rede sein", heißt es aus dem Ministerium.
Das Grundstück in Sankt Heinrich hätte man in Betracht gezogen, weil es sich in staatlicher Hand befindet. Zudem hätte es keine anderen Interessenten gegeben. "Weder die Lage in der Nähe des Sees, noch die hochwertige angrenzende Wohnbebauung sind per se ein Ausschlussgrund."
Ob das Innenministerium nun ein Machtwort gesprochen hat, beantwortet die Behörde nicht. Ein Sprecher teilt nur mit, dass eine Asylunterkunft wahrscheinlich nicht wirtschaftlich ist.
Suche nach neuem Standort für Asylunterkunft startet
Auf AZ-Anfrage äußert sich das Landratsamt zur Debatte selbst nicht mehr und schließt sich dem Innenministerium an. Fraglich bleibt, wieso die Verantwortlichen im Gemeinderat derartigen Druck gemacht haben, wenn sich das Projekt erst in der Entwicklung befindet.
Wie die Behörde selbst bestätigt, verdeutlichten Vertreter dort, dass die Gemeinde vor der Qual der Wahl stehe: Wenn das Landratsamt die Unterkunft nicht baut, würde das unter Umständen die Regierung von Oberbayern übernehmen.
Das wird jetzt wohl nicht mehr passieren. Ganz kommen die Seeshaupter trotzdem nicht um eine Asylunterkunft herum, ließ Egold anklingen: "Wir sind eine Solidargemeinschaft und das bleiben wir auch." Bald dürfte also die Suche nach einem alternativen Standort beginnen.