Interview

Arbeitnehmer-Vertreter Bernhard Stiedl: "In der Gastronomie ist die Situation der Beschäftigten katastrophal"

Die wichtigste Aufgabe derzeit für den Vertreter der Arbeitnehmer: Immer noch die Bewältigung der Pandemie. Doch auch danach kommenharte Zeiten, glaubt Bernhard Stiedl.
Andrea Weidemann |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Für viele in der Gastro sei die Lage "katastrophal", so Stiedl.
Für viele in der Gastro sei die Lage "katastrophal", so Stiedl. © picture alliance/dpa

Der oberste bayerische Gewerkschafter ist ein gebürtiger Deggendorfer. Ende Januar ist Bernhard Stiedl zum Vorsitzenden des DGB Bayern gewählt worden (AZ berichtete). Der 51-Jährige lebt zwar inzwischen in München, ist seiner Heimat Ostbayern aber immer noch verbunden. Er erklärt im AZ-Interview, welche die drängendsten Probleme sind, um die er sich aktuell als Gewerkschafter kümmern muss.

Kompromissbereitschaft ist ihm wichtig, aber er will auch lauter werden: der neue Vorsitzende des DGB Bayern, Bernhard Stiedl.
Kompromissbereitschaft ist ihm wichtig, aber er will auch lauter werden: der neue Vorsitzende des DGB Bayern, Bernhard Stiedl. © DGB Bayern

So hat Bernhard Stiedl seine Karriere als Gewerkschafter begonnen

AZ: Herr Stiedl, wo liegen Ihre gewerkschaftlichen Wurzeln? Wie sind Sie zum DGB gekommen?
BERNHARD STIEDL: Ich habe 1986 eine Ausbildung zum Feinmechaniker bei Rohde und Schwarz in Teisnach begonnen. Da meine Eltern gewerkschaftlich geprägt waren und bei uns daheim schon immer diesbezüglich diskutiert wurde, war es für mich selbstverständlich, mich, wenn ich eine Lehre mache, auch für andere einzusetzen. Dann ging es Schlag auf Schlag: Ich habe im Betrieb als Jugend- und Auszubildendenvertreter kandidiert und wurde gewählt, wurde später Betriebsrat und 1997, nach elf Jahren bei Rohde und Schwarz, hauptamtlicher Gewerkschaftssekretär bei der IG Metall in Ingolstadt.

Welche Aufgaben hat der Vorsitzende des DGB Bayern?

Wie sieht Ihre Arbeit als Vorsitzender aus und welche Einflussmöglichkeiten haben Sie?
Mein Alltag wird immer von den Themen bestimmt, die gerade politisch diskutiert werden. Und ob es nun um neue Gesetze oder Förderprogramme geht - als DGB-Vorsitzender ist es meine Aufgabe, die Interessen der Beschäftigten zu vertreten. Dazu treffe ich mich etwa mit Politikern zum Gespräch, lege auf Veranstaltungen oder Kundgebungen unsere Positionen dar oder bin auch in Betrieben, Verwaltungen oder Institutionen irgendwo in Bayern unterwegs. Darüber hinaus gilt es, sich DGB-intern abzustimmen beziehungsweise darüber zu diskutieren, welche Maßnahmen nötig sind, um das Leben der Arbeitnehmer zu verbessern und wie man entsprechende Forderungen so formuliert, dass sie in der Politik und gegenüber dem Arbeitgeber auch durchsetzungsfähig sind.

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Mit anderen Worten, gute Gewerkschaftsarbeit bedeutet auch die Fähigkeit zur Diplomatie.
Grundsätzlich ist eine gute Kommunikation wichtig, um Menschen von eigenen Vorstellungen zu überzeugen. Und um den besten Weg, das beste Ergebnis zu finden, kann man seine Maximalforderungen nicht immer durchsetzen, muss man auch bereit sein, zu vermitteln und Kompromisse zu finden. Schließlich hat das Gegenüber zuweilen ganz konträre Vorstellungen. Doch es gibt auch Situationen, in denen man seine Positionen auf den Punkt bringen, zugespitzt formulieren und auch mal laut sein muss, um Gehör zu finden. Das ist nicht schlimm, sondern gehört zu guter Streitkultur. Und da waren wir in der Vergangenheit vielleicht manchmal zu leise. Wir müssen wieder lauter werden. Denn in den letzten Jahren ist auf Arbeitnehmerseite einiges schiefgelaufen - man sehe nur die vielen prekären Arbeitsverhältnisse mit Niedriglöhnen, Werkverträgen oder Leiharbeit. Dass man jetzt einen gesetzlich verankerten Zwölf-Euro-Mindestlohn braucht, zeigt ja schon, dass es in der Vergangenheit mit der sozialen Gerechtigkeit und der fairen Teilhabe bei der Entgeltentwicklung nicht weit her war.

"Ein Vertrag ist nur dann gut, wenn beide Seiten zufrieden sind"

Was sind Ihrer Ansicht nach die drängendsten Probleme, worauf richten Sie Ihren Fokus?
Aktuell müssen wir unbestritten in erster Linie die Pandemie bewältigen. Ihr zufolge gab und gibt es zum Beispiel viel Kurzarbeit und weltweit Lieferschwierigkeiten. In manchen Bereichen wie in der Gastronomie oder im Veranstaltungsbereich ist die Situation der Beschäftigten katastrophal. Daneben beschäftigen uns die "großen" Themen, die schon vor Corona relevant waren, seien es der Klimawandel und seine Auswirkungen auf die Wirtschaft, wie der Umstieg auf E-Mobilität und das Augenmerk auf mehr Nachhaltigkeit, oder dass sich im Zuge der Digitalisierung Produktionsabläufe verändern. Unser Augenmerk liegt darauf, dass diese Umbrüche im Sinne der Beschäftigten gestaltet werden.

Welche Auswirkung hat der Regierungswechsel auf die Gewerkschaftsarbeit? Wird es unter der neuen politischen Führung leichter für die Gewerkschaften?
Ich glaube nicht, dass wir uns jetzt leichter tun werden. Zwar beinhaltet der Koalitionsvertrag positive Punkte wie den Zwölf-Euro-Mindestlohn, für andere Probleme - wie Werkverträge, Leiharbeit und andere prekäre Arbeitsverhältnisse - bietet er aber keine Lösungen an. Auch kann ich nicht herauslesen, dass es zu einer Umverteilung kommen wird, also zum Beispiel eine Vermögensabgabe eingeführt oder die Erbschaftssteuer überarbeitet wird, damit die, die viel verdienen, stärker zur Finanzierung der staatlichen Aufgaben herangezogen werden. Meine Befürchtung ist, dass am Ende der Pandemie die Frage aufkommen wird, wer die immensen Ausgaben finanzieren soll. Und dass es dann wieder die Arbeitnehmer über eine Erhöhung der allgemeinen Steuern trifft.

Kraft Ihres Amtes sind Diskussionen, Konfrontationen und Konflikte für Sie Alltag. Wie sind Sie als Privatmensch? Eher friedliebend und nachgiebig oder eher jemand, der "das letzte Wort" haben möchte?
Ich bin hier wie dort derselbe Mensch. Da kann ich mich nicht verstellen. Und das lässt sich auch gut vergleichen. Denn auch wenn es innerhalb der Familie unterschiedliche Vorstellungen gibt, muss man den Spagat schaffen, einerseits auf den anderen zuzugehen und kompromissbereit zu sein, andererseits nicht immer nachzugeben, sondern, wenn es sein muss, auch mal seine Position durchzusetzen. Dazu fällt mir eine Lebensweisheit ein, die ich sowohl beruflich als auch privat umzusetzen versuche: Ein Vertrag ist nur dann gut, wenn beide Seiten zufrieden sind und sich niemand über den Tisch gezogen fühlt.

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.