Animal Hoarding: Wenn Menschen Tiere horten – und alle leiden
In der Luft lag ein beißender Gestank, der Boden war kotverklebt, an mehreren Stellen verwesten Kadaver – im Dezember 2021 deckten Mitarbeiter des Münchner Tierschutzvereins einen der schlimmsten Fälle von Animal Hoarding auf, den es rund um die bayerische Hauptstadt bislang gegeben hatte: Bei Grünwald hatte eine Frau mehr als 20 Katzen in ein Haus gesperrt und sich selbst überlassen. Vor Hunger fraßen die Tiere ihre sterbenden Artgenossen.

Animal Hoarding in Bayern: 153 Fälle seit Oktober 2019 bekannt
Ein Einzelfall? Keineswegs. Seit Oktober 2019 sind den Behörden im Freistaat 153 Fälle von krankhafter Tier-Sammelei bekannt geworden (in den fünf Jahren vorher waren es knapp 200), wie aus der Antwort des Umweltministeriums auf eine Grünen-Anfrage hervorgeht.
Sechs Mal wurde in diesem Zusammenhang in der Stadt und neun Mal im Landkreis München gegen das Tierschutzgesetz verstoßen. Betroffen waren über 1.400 Katzen, fast 700 Hunde, knapp 800 Kaninchen, rund 430 Pferde aber auch Vögel, Nager, Lamas, Vogelspinnen, Schlangen und Waschbären.
Und das ist vermutlich nur die Spitze des Eisbergs. Da Fälle von Animal Hoarding durch die Verwaltung nicht statistisch erfasst würden, bestehe kein Anspruch auf Vollständigkeit der Auflistung, teilt das Ressort von Minister Thorsten Glauber (Freie Wähler) mit.
Kaum Forschungen in Deutschland zum Animal Hoarding
Warum Menschen zu Tier-Messies werden, ist in Deutschland wenig erforscht. Mitarbeiter der Akademie für Tierschutz in Neubiberg waren 2008 die Ersten, die sich hierzulande wissenschaftlich mit ihnen befassten. Experten unterscheiden vier "Hoarder-Typen":
- Den Pfleger, der anfänglich noch versucht, sich um seine Tiere zu kümmern. Allerdings vergrößert sich der Bestand explosionsartig, weil Weibchen und Männchen nicht getrennt werden.
- Der Retter versteht es als seine Mission, Tiere aufzunehmen. Er glaubt, dass sie es nur bei ihm wirklich gut haben. Irgendwann kann er sie nicht mehr richtig versorgen.
- Der Züchter schafft sich Tiere an, um sie für den Verkauf oder für Ausstellungen zu vermehren – und verliert den Überblick.
- Der Ausbeuter hält Tiere aus narzisstischen oder eigennützigen Motiven.
Ursachen für dieses Verhalten können Zwangsstörungen, Neurosen oder Persönlichkeitsstörungen sein. Häufig eskaliert die Situation durch eine persönliche Katastrophe.
Grüne fordern Prävention und Aufklärung
Während Tier-Messies in den USA bisweilen zu einer Therapie verurteilt werden, könne in Bayern "im Einzelfall" ärztliche Hilfe angeboten oder hinzugezogen werden, schreibt das Umweltministerium. Kerstin Celina, der sozialpolitischen Sprecherin der Landtags-Grünen, ist das zu wenig. "Tierschutz und psychische Probleme von Tierhalterinnen und Tierhaltern dürfen nicht getrennt voneinander betrachtet werden", sagt sie der AZ. Nötig seien Prävention und Aufklärung. "Humanmedizinisch gesehen existiert auf diesem Gebiet zu wenig Wissen und es gibt kaum Heilungsangebote."

Nötig wären etwa konkrete Ansprechpartner sowie eine Hilfe-Telefonnummer, an die sich Betroffene wenden können – oder auch Personen, die mitbekommen, dass jemand die Versorgung seiner Tiere nicht mehr hinbekommt. "Man muss hingucken. Es muss als Problem erkannt werden, wenn ein Mensch überlastet ist. Der Übergang ist hier oft fließend – man rutscht in eine Situation, aus der man nicht mehr herauskommt."
Vermehrt Frauen betroffen
Zudem müsse man wissen, an wen sich entsprechende Angebote richten sollen. "Die Grundlage dafür sind Zahlen. Die Staatsregierung erhebt aber keine", sagt Celina. "Erkenntnisse dazu geben derzeit lediglich Studien aus den USA und eine Dissertation aus Deutschland. Demnach sind vermehrt Frauen von Animal Hoarding betroffen. Die größten Tierzahlen wurden in Deutschland aber vor allem bei Männern beobachtet."
Und noch etwas fordern die Grünen und rennen damit bei Tierschutzverbänden offene Türen ein: ein Zentralregister für Tier-Messies.


Animal Hoarding ist eine Sucht
Denn Animal Hoarding ist eine Sucht, immer wieder ziehen Betroffene nach einem Tierhaltungsverbot in einen anderen Landkreis – und machen einfach weiter.
Das Umweltministerium hält es laut seiner Antwort aber nicht für zielführend, eine Rechtsgrundlage zu schaffen, aufgrund derer die Einrichtung eines solchen von den Veterinärämtern einsehbares Zentralregister möglich ist.
Kopfschütteln bei Kerstin Celina: "Es ist doch absolut sinnvoll, wenn Tierhalteverbote von den zuständigen Behörden abrufbar wären. Und wenn in besonders schlimmen Fällen beispielsweise über das Melderegister mitgeteilt würde, bei wem mit einem Zuzug in eine Kommune auch ein Haltungsverbot mitzieht."
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