André (†9) starb in Magdeburg – Seine Familie fühlt sich "im Stich gelassen"

Magdeburg/Floß - Für die Familie des kleinen André († 9) ist am 20. Dezember die Welt stehen geblieben. Und sie wird sich nie wieder so weiterdrehen wie zuvor. Der Bub aus der Oberpfalz ist das jüngste Todesopfer des Anschlags am Weihnachtsmarkt Magdeburg.
Update: Inzwischen ist der Leichnam von André freigegeben. Lesen Sie hier die Neuigkeiten zu der tragischen Geschichte um das jüngste Opfer von Magdeburg.
Seine Mutter Désirée G. hat ihre Trauer schon mehrmals bei Facebook ausgedrückt. Etwa mit diesen Zeilen: "Es ist so leise zu Hause. Dein Lachen fehlt so sehr. Wir vermissen dich unendlich." Sie hatte auch einen Aufruf gestartet, das Bild ihres jüngsten Sohnes bei Social Media nochmal um die Welt fliegen zu lassen.
An Silvester hat sie nun zusammen mit Andrés Stiefvater Patrick S. ein Video hochgeladen – darin mischen sich Trauer, Hilflosigkeit und Verzweiflung. Eigentlich hätten sie vorgehabt, in dem Video in erster Linie den Angehörigen der anderen Opfer ihr Beileid auszusprechen.
Der Stiefvater des jüngsten Opfers sagt: "Alle lassen uns tierisch im Stich"
Doch die Mutter erhebt darin jetzt öffentlich Vorwürfe gegen die Stadt Magdeburg und den Staat. Denn die Familie habe den verstorbenen Neunjährigen bisher immer noch nicht sehen dürfen und sich somit auch nicht von ihm verabschieden können.
Stiefvater Patrick S. lässt wissen, "dass uns derzeit der Staat sowie Magdeburg alle tierisch im Stich lassen und uns gerade so richtig das Leben schwer machen". Seiner Partnerin soll demnach sogar eine DNA-Probe entnommen worden sein, um festzustellen, ob sie wirklich die Mutter ist. Zu viel für die trauernde Familie.

Es fällt der Mutter sichtlich schwer, zu sprechen. Immer wieder kämpft sie mit den Tränen. Im Hintergrund hängt ein Bild von André an der Wand.
"Es ist schon schwer genug für uns alle"
Désirée G. sagt: "Es ist schon schwer genug für uns alle. Wir sind jetzt bei Tag elf und mit jeder Sekunde schwindet die Hoffnung, dass wir unser Kind nochmal sehen dürfen." Sie hätten sogar mit einem Anwalt gedroht. Demnach hofft die Familie, den Neunjährigen zwei Tage nach ihrer Facebook-Nachricht nochmal zu sehen. Das wäre der 2. Januar. "Keiner weiß, ob wir es überhaupt dürfen, ob es zumutbar wäre."
Trotzdem ist der persönliche Abschied für sie unverzichtbar. Verzweifelt sagt sie: "Ich verstehe nicht, warum man eine Mutter noch so leiden lässt." Der Stiefvater kritisiert weiter: "Wir haben noch keinerlei Hilfe von irgendwem da oben bekommen. Die Hilfen waren alle privat."
Kritik: Offiziell habe sich niemand bei ihnen gemeldet
Außer einem Opferschutz-Formbrief mit gedruckten Unterschriften hätten sie noch nichts erhalten, so die Mutter: "Die Regierung hat sich bei uns noch gar nicht gemeldet."
Dann geht sie auch auf den Täter Taleb A. ein, der Arzt (50) aus Saudi-Arabien, der polizeibekannt war und vor dem in der Vergangenheit gewarnt worden war. "Es hat keiner etwas dagegen unternommen. Die Schuld liegt bei der einen Person, die unser Kind getötet hat, und bei der Regierung, weil die nicht gehandelt hat." Es reiche endgültig. "Uns dann noch so zu quälen, indem man unser Kind nicht freigibt! Ich verstehe es einfach nicht." Die beiden wünschen sich, dass das Video so oft wie möglich geteilt wird, um Gehör zu finden.
Generalstaatsanwaltschaft: Freigabe zur Ansicht
Der Sprecher der Stadt Magdeburg, Michael Reif, kennt das Video bereits, wie er der AZ sagt. Er erklärt am Neujahrstag, dass für die Freigabe des Leichnams die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg zuständig ist. Die AZ hat auch dort nachgefragt.
Sprecher Klaus Tewes sagt: "Nach meiner Kenntnisnahme ist die Obduktion bereits erfolgt und zumindest für die Eltern oder Mutter und Stiefvater besteht auch die Möglichkeit, sich den Leichnam zeitnah anzugucken. Eine offizielle Freigabe kann nur deshalb noch nicht erfolgen, weil die Identität noch nicht sicher geklärt ist."

Wenn die Eltern den Leichnam sehen wollten, sei Tewes zufolge psychologischer Beistand wichtig. Er verweist auf den Anblick von Unfallopfern. Mehr möchte er dazu aber nicht sagen.
Seit Anschlag kaum Arbeitstage in der Gerichtsmedizin
Auf die Kritik, die Freigabe dauere zu lange, verweist Tewes auch darauf, dass aufgrund der Feiertage seit dem Anschlag erst drei Arbeitstage bei der Gerichtsmedizin möglich waren.
Der Stadt fehlen noch die Kontaktdaten der Betroffenen
Zurück zur Stadt Magdeburg: Wurde schon Kontakt zu den Hinterbliebenen aufgenommen? Sprecher Reif zufolge fehlten dafür noch die Kontaktdaten. Man wolle "nicht über soziale Medien, sondern angemessen" mit ihnen kommunizieren.
Die Oberbürgermeisterin habe aber bereits "auf verschiedenen Wegen", etwa beim Gedenkgottesdienst im Dom, ihre Anteilnahme zum Ausdruck gebracht. Zudem gibt es ein Spendenkonto der Stadt, bisher seien schon über 800.000 Euro eingegangen. Aktuell werde eine Richtlinie erarbeitet, wie die Gelder verteilt würden: "Rechtssicher und zeitnah."