Amoklauf von Ansbach: Der Täter und der Held
„Georg R. schwamm mit“, sagt sein Direktor - unter der Oberfläche brodelte es. Johannes K. rettete Menschenleben, die der Irre mit der Axt ausgelöscht hätte.
Das Hass-Vermächtnis des Amokläufers: Nach der Attacke auf seine Schule mit Messern, Brandbomben und einer Axt, die zwei Mädchen und ihm selbst fast das Leben gekostet hätte, fanden die Ermittler in seinem Zimmer schreckliche Vorboten der Wahnsinnstat: ein Testament, wirre Notizen, in denen Georg, der psychologisch betreut wurde, Weltuntergangsszenarien beschwor – und ein Kalenderblatt des 17. September, versehen mit der Notiz „Apocalypse today“ – Apokalypse heute. Geheime Gewaltfantasien, die Nachbarn, Mitschüler, Lehrer und seine Eltern dem stillen Abiturienten so nicht zugetraut hätten.
Schein und sein: Die Gegend, wo Georg R. (18) lebte, erscheint wie ein Spiegelbild seiner Seele. Seine Eltern leben in Scheidung, allerdings in der selben Straße, einer unwohnlichen, stark befahrenen Ausfallstraße am südlichen Stadtrand. In durchaus schicken Häusern allerdings, mit großen Gärten auf der Rückseite.
Ist Georg H. ein "Opfer seiner Eltern"?
Georg selbst entspricht nur bedingt dem Klischee eines Soziopathen, der aufgestauten Hass in einem Inferno entlud. Denn Georg war – anders als dargestellt – durchaus integriert. „Er hatte Freunde an der Schule“, sagt Franz Stark zur Abendzeitung. Der Direktor des Gymnasium Carolinum kennt Georg seit Jahren. „Er ist mitgeschwommen“, berichtet der Deutschlehrer über den Abiturienten mit Leistungskurs Deutsch. Seine Leistungen waren okay, sein Sozialverhalten ebenso. Nichts, aber auch gar nichts deutete darauf hin, dass dieser Junge, der früher so gern Schultheater gespielt hat, einen zehnfachen Mordversuch inszeniert, als sei er einem schlechten Film entsprungen.
Ein alter Mann, der neben dem Haus der Mutter wohnt, kann die Tränen nicht zurückhalten: „Das war ein netter, ruhiger Bub“, sagt er. Ein „Opfer seiner Eltern.“ Die nämlich ließen sich vor Jahren scheiden.
Georg und seine Schwestern lebten offiziell beim Vater, das Klingelschild trägt alle Namen. Tatsächlich verbrachten aber die Schwestern wohl mehr Zeit bei der Mutter und ihrem neuen Mann, wo man Georg aber nie sah: „Durfte er da nicht hin?“, fragt sich der Nachbar.
In der Nacht auf Freitag mussten sie Georg, den Polizisten auf der Toilette niederschossen, notoperieren. Er hatte seinen Tod provoziert, aber überlebt. Bald wird er all die Fragen beantworten müssen, auf die er wohl selbst keine Antwort weiß.
-----------------------------------------------------------------
Er ist ein Held! Der 18-jährige Johannes K. aus Herrieden (Kreis Ansbach) hat durch seinen beherzten Einsatz eine noch schlimmere Katastrophe verhindert. Sogar Innenminister Joachim Herrmann zollte dem Schüler des Gymnasium Carolinum in aller Öffentlichkeit seinen Respekt: „Sein Verhalten war vorbildlich.“
Johannes K. geht in die gleiche Klasse wie der Täter. Als der am Donnerstagmorgen seinen Amoklauf im dritten Stockwerk der Schule startete, befand er sich in der Mensa im Erdgeschoss. Plötzlich rannte ihm ein Schüler entgegen, der sich sein verbranntes Hemd vom Leib gerissen hatte. Fast gleichzeitig ertönten Schreie: „Hier wirft jemand mit Molotow-Cocktails.“
Johannes setzte über sein Handy sofort einen Notruf ab, packte sich einen Feuerlöscher und eilte das Treppenhaus hoch. Von Panik erfasste Lehrer und Schüler rannten ihm entgegen und riefen, dass es brenne und Verletzte gebe – und dass er umkehren solle. Doch daran dachte Johannes nicht. „Ich bin seit acht Jahren bei der Feuerwehr und dazu ausgebildet worden, zu helfen“, sagte er später.
Am Abend stand er schon wieder auf der Bühne des Theaters
Hinter den beiden Polizeibeamten, die aufgrund seiner schnellen Alarmierung bereits wenige Minuten später in der Schule eintrafen, stürmte er in das Klassenzimmer, aus dem Rauch drang. Mit einem Feuerlöscher löschte er den vom Molotow-Cocktail ausgelösten Brand. Danach schaute er sich nach weiteren möglichen Brandherden um.
Er erlebte auch aus nächster Nähe mit, wie Amokläufer Georg R. aus der Jungentoilette stürmte und die beiden Polizisten mit einem Messer bedrohte. „Danach sind fünf Schüsse gefallen“, erinnert sich der Schüler. In Absprache mit den Beamten holte Johannes Verbandsmaterial, um die Wunden des Amokläufers versorgen zu können. Erst da sah er, dass der Täter ein Mitschüler war.
„Angst“, versicherte Johannes, „hatte ich die ganze Zeit nicht.“ Bereits am Abend nahm der coole Schüler im Theater an einer Probe teil.
Steffen Windschall / Helmut Reister
Wie es den beiden schwer verletzten Opfern des Amoklaufs geht, lesen Sie in der Print-Ausgabe Ihrer AZ am Wochenende, 19./20. September