Alt-OB Urschlechter wird 90: Sein Leben, seine Politik
Beispiellose Ära vom jüngsten (1957) zum dienstältesten (1987) OB Deutschlands
NÜRNBERG Er prägte Nürnbergs Nachkriegsgeschichte entscheidend mit: Alt-Oberbürgermeister Andreas Urschlechter. Heute wird der einstige Polit-Patriarch, den der Volksmund in einer Mischung aus Zuneigung und Respekt einfach als den „Reeser“ titulierte, 90 Jahre alt. Doch es ist ruhig geworden um den legendären OB. Auf öffentliche Ehrungen hat er keine Lust.
Wie schon bei vorangegangenen Jubiläen verweigert der Ex-SPD-Politiker, den seine Heimatstadt 1987 zum Ehrenbürger machte, eine offizielle Gratulations-Cour. Diesmal hat er sich mit unbekanntem Ziel zu einer Reha verabschiedet. Das Glückwunschschreiben und ein Geschenkpaket seines Nach-Nach-Nachfolgers Ulrich Maly (SPD) wird ihn deshalb erst nach seiner Rückkehr erreichen.
Urschlechters Amtszeit umreißt eine unvergleichliche Ära vom jüngsten (1957) zum dienstältesten (1987) Stadtoberhaupt einer deutschen Großstadt. Ein ungebrochener Rekord: Fünf Mal haben die Nürnberger ihn mit großer Mehrheit auf den OB-Sessel gehievt. Am deutlichsten 1969 mit 67,4 Prozent.
In die Amtszeit des promovierten Juristen, der vor seiner OB-Zeit Nürnbergs „Wiederaufbau-Referent“ war, fallen wirtschaftliche Blüte und sozialer Aufschwung der Stadt. Es gibt wohl kein Nürnberger Stadtoberhaupt, das so viele Grundsteine gelegt, so viele Richtfeste gefeiert und so viele Einweihungen mitgemacht hat. Beispiele: die Meistersingerhalle, die U-Bahn, die Trabantenstadt Langwasser, der Rhein-Main-Donau-Kanal.
Doch am Ende erwies sich das robuste Kraftpaket als dünnhäutig. Urschlechter verließ die Polit-Bühne wie in einem schlechten Theaterstück: Wie eine beleidigte Diva hat er sich 1982 von der SPD abgewandt, weil die sich bereits öffentlich Gedanken über einen Nachfolger machte – und weil er bei ihr nach dem „Komm“-Justiz-Skandal um 141 verhaftete Jugendliche „linksradikale Tendenzen“ ausgemacht haben wollte.
Seine Rache: Er unterstützte den CSU-Kandidaten Beckstein.
Urschlechters Rache: Er setzte sich im Wahlkampf um seine Nachfolge vehement für den CSU-Kandidaten Günther Beckstein ein. Vergeblich! Denn Beckstein unterlag gegen SPD-Mann Peter Schönlein in der Stichwahl 1987 deutlich. Da hatte der einstige „rote Fuchs“, wie ihn Beobachter der Rathauspolitik respektvoll tituliert hatten, seinen Einfluss überschätzt.
Urschlechters Versuch, selbst in die CSU zu wechseln, schlug schon im Jahr 1982 fehl. Denn die Schwarzen, deren Griff zur Macht während seiner 30 Jahre dauernden Ära immer wieder am SPD-Bollwerk abgeprallt war, wollten dem einstigen Widersacher kein politisches Asyl gewähren. Allerdings gestanden sie dem Alt-OB und seiner dritten Frau Lilo bei den CSU-Bällen in der Meistersingerhalle wenigstens regelmäßig Plätze am Ehrentisch zu.
Sein Privatleben hat Urschlechter, der Vater zweier Töchter aus erster Ehe ist, immer aus der Politik herausgehalten. So genannter Volksnähe ist er lieber ausgewichen. Am liebsten auf Reisen in den Süden, von wo er braungebrannt Lebensfreude ins Rathaus mitbrachte. Aber es gibt wohl keinen Nürnberger, der das populäre Stadtoberhaupt je als Fahrgast in der U-Bahn angetroffen hätte. Sein Dienstwagen musste ihn selbst zu Einweihungen von Radwegen bringen.
Seinen Lebensabend verbringt Andreas Urschlechter an der Seite seiner Frau Lilo zurückgezogen von der Öffentlichkeit in seiner Terrassen-Eigentumswohnung in Langwasser – jenem Stadtteil, dessen Aufbau mit seinem Namen verbunden ist. Johannes Härtel