Als Bub falsch behandelt: Der endlose Kampf einer Mutter für ihren Sohn

Cornelia Sämann geht dafür durch alle Instanzen. Vor fast 15 Jahren wird ihr Bub als Zweijähriger nicht richtig behandelt – und überlebt nur knapp.
von  Helmut Reister
Die Mutter verklagt den Chefarzt der Cnopf'schen Kinderklinik in Nürnberg. (Symbolbild)
Die Mutter verklagt den Chefarzt der Cnopf'schen Kinderklinik in Nürnberg. (Symbolbild) © dpa

Nürnberg - Hinter dem Aktenzeichen 250 Js 20477/21 verbirgt sich eine juristische Kriegserklärung gegen den Chefarzt der Cnopf'schen Kinderklinik in Nürnberg. Die Mutter eines inzwischen volljährigen Sohnes, der dort als zweijähriges Kleinkind behandelt wurde, fast starb und seitdem mit Behinderungen leben muss, will ihn jetzt wegen versuchten Totschlags zur Rechenschaft ziehen lassen.

Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Nürnberg, Antje Gabriels-Gorsolke, bestätigt auf AZ-Anfrage, dass gegen Chefarzt Wolfram Scheurlen und einem weiteren Kollegen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. "Bei einem möglichen Tötungsdelikt sind wir dazu verpflichtet", erklärte die Behördensprecherin.

Gefährliche Körperverletzung: Verfahren gegen Ärzte

Für die Staatsanwaltschaft ist der Fall ein Déjà-vu. Vor fast 15 Jahren wurde gegen Scheurlen und andere Ärzte schon einmal ermittelt, damals wegen gefährlicher Körperverletzung. Dieses Verfahren wurde eingestellt, weil nach Ansicht der Staatsanwaltschaft keine groben Fehler vorlagen.

Ein rechtsmedizinisches Gutachten, das mehrfach nachgebessert werden musste, spielte dabei eine entscheidende Rolle. Einfacher oder grober Behandlungsfehler, einfache oder grobe Fahrlässigkeit sind auch die bestimmenden Faktoren in einem parallel laufenden Zivilprozess, in dem es um hohen Schadensersatz geht. In diesem Verfahren, das auch schon weit mehr als zehn Jahre läuft, geht das Gericht schon lange von groben ärztlichen Fehlern aus. Trotzdem tritt der Fall seit fünf Jahren auf der Stelle, ein Urteil ist nicht in Sicht.

Mutter will ihren Sohn nicht noch einmal untersuchen lassen

Der Grund für den Stillstand ist die konstante Weigerung von Cornelia Sämann, den Zustand ihres Sohns Constantin von dem Arzt begutachten zu lassen, den das Gericht ausgewählt hat.

Mit dem Hinweis auf ein ärztliches Gremium, dem einmal sowohl der Nürnberger Chefarzt als auch der als Gutachter ausgewählte Arzt eine Zeitlang angehört hätten, lehnen ihn Mutter und Sohn ab.

Geprägt werden beide Verfahrensebenen, die straf- und auch die zivilrechtliche, von den unzähligen Anträgen, Einsprüchen und Beschwerden, mit denen Cornelia Sämann die Justizbehörden und alle nur ansatzweise in Frage kommenden Stellen überschwemmt. Sogar ein Klageerzwingsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht hat sie in Gang gesetzt.

Im Zivilverfahren geht es im Endeffekt "nur" um die Höhe der Entschädigung. Die rechtlich an sich klare Lage hat unter anderem dazu geführt, dass die Versicherung des Arztes auch ohne Urteil bereits 200.000 Euro bezahlt hat. Diese Summe ist für Cornelia Sämann jedoch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Allein die drei Immobilien, die sie aufgeben hätte müssen, wären ein Vielfaches wert gewesen.

Die Forderung in Millionenhöhe auf der einen Seite und zugleich die Weigerung, Constantin begutachten zu lassen, hat eine bizarre Situation geschaffen. "Um die genauen gesundheitlichen Schäden und damit auch die Höhe des Schmerzensgeldes festlegen zu können, ist eine Begutachtung unumgänglich", beschreibt Gerichtssprecher Friedrich Weitner die zugespitzte rechtliche Lage.

Der prominente Chefarzt sitzt für die CSU auch im Stadtrat

Cornelia Sämann, die einen Prozess auch ohne neue Begutachtung beim Bundesverfassungsgericht erzwingen will, macht kein Geheimnis daraus, dass sie den prominenten Chefarzt, der für die CSU im Nürnberger Stadtrat sitzt, nach wie vor strafrechtlich verurteilt sehen will.

Da Delikte wie Körperverletzung oder Misshandlung von Schutzbefohlenen bereits verjährt sind und eine Anzeige keine rechtlichen Folgen mehr hat, greift sie jetzt nach einem Strohhalm. Tötungsdelikte, auch wenn es nur um einen Versuch geht, haben längere Fristen.

Die Staatsanwaltschaft, die bereits die Ermittlungen wegen Körperverletzung vor vielen Jahren gegen Scheurlen und seine Kollegen einstellte, will sich momentan nicht dazu äußern. Behördensprecherin Antje Gabriels-Gorsolke bestätigte aber den Eingang der Strafanzeige.

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