Afghanistan-Veteran: Zurück aus der Hölle

Wenn die Soldaten zurückkommen, haben sie sich verändert. In Kundus sah der Passauer Erik B. seine Kameraden sterben. Hier erzählt der Veteran vom Leben zwischen Albtraum und Abenteuer.
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Das Erlebte lässt ihn nicht los: Insgesamt sieben Monate diente Erik B. (25) aus Passau in Afghanistan
Tobias Köhler / medien denk Das Erlebte lässt ihn nicht los: Insgesamt sieben Monate diente Erik B. (25) aus Passau in Afghanistan

Wenn die Soldaten zurückkommen, haben sie sich verändert. In Kundus sah der Passauer Erik B. seine Kameraden sterben. Hier erzählt der Veteran vom Leben zwischen Albtraum und Abenteuer.

Es ist noch dunkel am Morgen des 20. Oktober als Erik B. mit seinem Radpanzer Fuchs über eine Dreckpiste nach Hadschi Amanullah ruckelt. In dem Dorf in der Provinz Kundus haben Taliban ein Waffenlager eingerichtet. Das soll der Stabsgefreite mit 160 anderen deutschen Isaf- Soldaten ausheben. Sie erreichen das afghanische Örtchen bei Sonnenaufgang.

Ein schöner Tag beginnt. Ein tödlicher Tag.

Keine zwei Jahre liegt jener 20. Oktober 2008 nun zurück. Erik B., wie der 25-Jährige genannt werden will, sitzt heute in einem Biergarten in Passau. Er trägt ein weißes T-Shirt mit der Aufschrift „Defender“. Wie passend. Erik B. der Verteidiger Deutschlands am Hindukusch – frei nach der Parole von Ex-Verteidigungsminister Peter Struck, mit der er 2002 die Deutschen auf den fernen Kampf gegen den Terror vorbereitete.

Nach der Realschule sucht Erik B. erfolglos eine Lehrstelle. Die Bundeswehr bietet eine Perspektive, mit 20 lässt er sich für vier Jahre verpflichten. Insgesamt sieben Monate verbringt er davon in Afghanistan, erst in Faisabad, dann in Kundus. Man könnte ihn Kriegsveteran nennen.

Er weiß, wie sich das anfühlt, wenn Kameraden plötzlich sterben. Er kennt die Trauer und die Sprachlosigkeit im Feldlager. Allein im April 2009 starben sieben Deutsche im Einsatz. Unter ihnen der 24-jährige Josef Kronawitter. Auch er kommt aus Passau. Mit seiner Freundin lebte er in Untergriesbach. Bald wäre er Vater geworden.

„In Afghanistan ist man immer in Gefahr“, sagt Erik B. Sein oberster Befehlshaber war noch Verteidigungsminister Franz-Josef Jung und der wollte das K-Wort nicht in den Mund nehmen, das wagte erst dessen Nachfolger Karl Theodor zu Guttenberg. Dabei wussten Erik B. und seine Kameraden schon vor zwei Jahren: „Dort unten kann es dich immer und überall erwischen.“

Wirklich klar ist ihm das aber erst am 20. Oktober geworden: Erik steht am MGStand seines Panzers und blickt auf die Lehmhäuser von Hadschi Amanullah. Die Mittagssonne brennt, Stunden verstreichen. Dann finden seine Kameraden eine Rakete, vergraben im Sand hinter einem Gebäude. „Bevor ihr sprengt, sagt nochmal Bescheid“, heißt es über Funk. Sekunden später zittert die Erde und eine schwarze Rauchsäule steigt in den Himmel, nur Meter von ihm entfernt. Erik spürt die Druckwelle, sie wühlt wie ein Orkan in seinem Magen. Adrenalinschub. Über Funk bricht die Hölle los. „Suicider, Selbstmörder!“ Frage: „Gibt es Gefallene?“ Antwort: „Positiv.“

Zwei Bundeswehr-Soldaten werden von einem Sprengsatz zerfetzt, den ein Attentäter auf seinem Fahrrad direkt neben ihnen zündet. Auch fünf afghanische Kinder sterben. „Man denkt: Diese Bastarde – und bekommt einen Hass“, sagt Erik. Zurück im Lager in Kundus schluchzen Männer in die Hemden ihrer Wüstentarnuniformen. Ein Kamerad klimpert auf der Gitarre. Erik kippt ein Bier nach dem anderen.

Dass Bewusstsein, dass ihn nur wenigeMeter vom Tod getrennt haben, hat ihn verändert, wahrscheinlich für immer. „Wer nicht dort war, kann nicht verstehen, wie das ist. Das unterscheidet einen von allen anderen.“ Worte eines Veterans, der seine Einsätze aber auch als „ein echtes Abenteuer“ bezeichnet. Ein Abenteuer in der Hölle

Kürzlich hat ein Bekannter damit geprahlt nach Afghanistan zu gehen. Das war Erik B. zu viel. „Geh' nicht im März“, hat er ihm geraten. Im Frühling kommen die Taliban aus dem Winterlager zurück und brennen auf den Kampf. Auch den Freunden des jungen Soldaten gab er Tipps: Schickt ihm mal eine Flasche Schnaps, Wurst aus Bayern und einen Playboy, darüber freut sich jeder Soldat in Kundus.

Anfang Dezember 2008 kam Erik nach Passau zurück. Er wollte bei der Bundeswehr nicht verlängern. Heute geht er auf die Berufsoberschule und will BWL studieren. Sein Vater ist über 80, er muss sich um seine Eltern kümmern.

Kann man Afghanistan ohne Schaden überstehen? „Man muss danach viel Partymachen und noch mehr nachdenken“, sagt er. Ein Paradies wie Deutschland bringe einen nach der Rückkehr fast um den Verstand. Im Kopf toben noch Bilder von halbnackten Kindern im Schnee, bibbernd und berauscht vom Opium, damit sie die Kälte ertragen. Und zündet in Passau die Dorfjugend Böller am Kirchturm, schreckt er aus dem Schlaf und kriegt kein Auge mehr zu.

Im vergangenen Jahr wurden 466 Soldaten mit „posttraumatischen Belastungsstörungen“ behandelt, doppelt so viele wie in den Jahren zuvor. Immer mehr verwüstete Seelen kehren in die Heimat zurück. Erik kennt Kameraden, die panisch werden, wenn ihr Auto über ein Schlagloch fährt. Ein anderer hat sich in die Welt des Computerspiels „World of Warcraft“ zurückgezogen. Das spielt er acht Stunden am Tag, den Rest der Zeit schläft er – seit einem Jahr. Bei Erik sind Albträume seltener geworden. Er kommt klar.

Wofür riskiert man überhaupt in Afghanistan sein Leben? „Der Einsatz ist sinnvoll. Wenn wir das Land den Terroristen überlassen, werden sie irgendwann zu uns kommen.“

Und dann erinnert er sich an das Mädchen aus diesem Dorf, irgendwo am Hindukusch. Das Kind streckte ihm seine dreckige Hand hin, darin lag ein Stück Papier, bemalt mit einem Helikopter und den Buchstaben Isaf. Ein Geschenk. Vielleicht habe ermitgeholfen, dass dieses Mädchen irgendwann in einem Land ohne Terror aufwachsen kann. „Das“, sagt Erik, „wäre ein schöner Gedanke.“

Reinhard Keck

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