Ära, wem Ära gebührt – die Schauspiel-Direktoren und ihr Anhang
NÜRNBERG - AZ-Serie Teil 4: Hesso Huber und Hansjörg Utzerath blieben am längsten, Schwarze und Richter flüchteten aus Nürnberg, Berg schmollte, Kusenberg baut auf.
Wenn Politiker auf der Suche nach Leitfiguren für Kultur-Institutionen sind, werden sie gerne eigendynamisch zu Experten. Aus dem Pool möglicher Kandidaten wird dann hinter verschlossener Tür von grauen Eminenzen eine Favoriten-Auslese zum Schaulaufen vor ein Gremium bestellt, wo in der Regel weniger künstlerisches Konzept als die Eloquenz des Selbstdarstellers zur Entscheidung führt. Es sei denn, die Vordenker der beteiligten Fraktionen haben heimlich längst gekungelt und lassen die Kollegen zur Demokratie-Simulation nur ein wenig im Nebel stochern. So oder ähnlich sind auch die meisten der insgesamt neun Direktoren, die das Nürnberger Schauspielhaus in 50 Jahren geprägt haben, berufen worden. Zwischen Hesso Huber (1959 bis 1975) und Klaus Kusenberg (seit 2000 und mit offenem Ende) eine Geschichte von Sesshaften, unter Selbstüberschätzung leidenden und - in zwei Fällen - panikartig aus Nürnberg Flüchtenden. Wie dem auch sei, die Direktoren bestimmten, sobald sie berufen waren, dominierend das künstlerische Profil. Die Ehre einer Ära ist nur den wenigsten zuzuschreiben: Neben Huber, den der legendäre Generalintendant Karl Pschigode schon ab 1954 im Lessingtheater als Spartenchef eingesetzt hatte, gilt das nur für Hansjörg Utzerath (1977 bis 1992). Und Kusenberg dürfte auf dem Weg sein, der Dritte im Bunde zu werden.
Als Hesso Huber die Sprechtheater-Sparte zunächst noch mit Pschigode-Oberhoheit leitete, wirkte das wie breit angelegte Dienstleistung. Vier bis fünf feste Regisseure waren neben ihm und einigen Gästen nötig, um den heutzutage unvorstellbaren Ausstoß von Produktionen zu bewältigen. Zum Senior Hermann Hom aus Vorkriegszeiten kamen Horst Eisel und Edgar Walther, Günther Tabor und Rolf Lansky, später dann die Entdeckung Günther Büch, bis zu seinem frühen Tod mit 44 Jahren die exotische Erscheinung im Team. Wo so viel entstand, war ein Profil schwer erkennbar. Huber selbst stand für solide Qualität (etwa mit einer geschliffenen Fassung von Mrozeks „Tango"), der inszenierende Schauspieler Tabor engagierte sich für Rolf Hochhuth und Ödön von Horvath, Allrounder Lansky, der auch Opern inszenierte, war Anlaufstelle für Komödien. Neben Büch, der am besten mit der Freiheit der Revue und Texten mit Spielraum umgehen konnte (Handkes „Kaspar" wie Brechts Heilsarmee-Spaß „Happy End"), tauchte erstmals der junge Regieassistent Luc Bondy auf.
Vermutlich wurde keine Amtsübernahme an einem deutschen Theater je so sorgfältig vorbereitet wie die von Hans Dieter Schwarze, der 1975 Huber ablöste. Kulturreferent Hermann Glaser hatte alle auffälligen Kandidaten angesprochen. Von Kurt Hübner, der das Wunder von Bremen mit Peter Stein und Peter Zadek schaffte, über Dieter Reible und Ernst Seiltgen. Die Wahl von Hans Dieter Schwarze, dem in Castrop-Rauxel volksnahe Bühnenkunst geglückt war, dürfte auch Ergebnis einer Charme-Offensive gewesen sein. Jedenfalls nutzte er die lange Vorbereitungszeit zum verblüffenden Fünf-Jahres-Plan und zur Entscheidung, das Schauspielhaus demonstrativ „Volkstheater" zu nennen. Da schüttelten schon viele Nürnberger den Kopf. Als es, nach dem Provisorium einer Umbau-Saison zwischen Planetarium und Alter Messe, Zeit zum Einzug war, warf Schwarze das Handtuch. Die Reaktionen auf seine Arbeit mit politisch engagierten Schauspielern hatten ihn frustriert, die groß geplante Uraufführung des Kroetz-Stückes „Agnes Bernauer" war geplatzt. Nun musste der junge Dramaturg Friedrich Schirmer (heute Intendant am Schauspielhaus Hamburg) Feuerwehr spielen. Unter seiner Hand war Fitzgerald Kusz mit „Schweig, Bub" durchgestartet, dazu holte er in größter Not Günther Büch zurück und ließ ihn statt dem spröden Kroetz die bunte Tucholsky-Impro-Show „Im Grünen fing es an" als Wiedereröffnungs-Spektakel arrangieren. Hauptsache gute Laune!
Da gab es bereits erste Kontakte von Hermann Glaser mit dem in Berlin lebenden Hansjörg Utzerath. Er hatte die Düsseldorfer Kammerspiele ins Gespräch gebracht, war an der großen Freien Volksbühne wie so viele vor und nach ihm gescheitert und gehörte als Regisseur am Schiller-Theater zu den Großen der zweiten Reihe. Nach Nürnberg brachte er Chefdramaturg Jörg Wehmeier, seinen Partner bei kühn entrümpelten Hauptmann-Inszenierungen, als Vordenker mit - und alsbald hatten sich die Herren so zerstritten, dass sie nicht mehr miteinander reden wollten. Trotzdem blieb Utzerath 16 Spielzeiten und war im Rückblick mit Abstand der wichtigste Regisseur, den dieses Schauspielhaus bis heute hatte. Von „Rose Bernd" als Auftakt über Brechts „Baal" und Projekte wie Hans Henny Jahnns „Straßenecke" bis zu „Hitlerjunge Quex" und „Jud Süß“ eine Serie von denkwürdigen Aufführungen. So zupackend er als Regisseur war, so zaudernd blieb er als Direktor. Er würde, sagte mal einer seiner Mitarbeiter, nach gefällten Entscheidungen am liebsten die eigene Unterschrift wieder durchstreichen. Dennoch gelang ihm mit dem Engagement der Regisseure Raymund Richter und Henning Rühle zeitweise die Schaffung einer glänzenden Basis. Für die letzten Nürnberger Jahre überließ Utzerath dem Intendanten Burkhard Mauer und dessen jungen Oberspielleiter Daniel Karasek die Administration und konzentrierte sich auf das, was ihn schon immer mehr interessierte.
Als die Spitzenpositionen des Drei-Sparten-Theaters 1992 frei wurden, hatte Nürnberg mit Karla Fohrbeck eine Kulturreferentin der besonderen Art. Die fromme Frau zauberte den französischen Festival-Manager Lew Bogdan aus dem Hut, der in Bochum Zadeks Nachlassverwalter war. Und, welche Überraschung, er brachte von dort den zuvor aus Nürnberg geflohenen Raymund Richter mit. Aber der dünnhäutige Regisseur hielt es nur ein Jahr an der Schauspielhaus-Spitze aus, ehe er erneut ohne nähere Angaben die Stadt verließ. Da musste Bogdan sich selber aushelfen, bis ihm Gastregisseur Holger Berg auffiel. Dessen Kleist-Inszenierung der fast unspielbaren „Familie Schroffenstein" war so unkonventionell geglückt, dass sie mit einem Direktoren-Titel belohnt werden konnte. Berg bestätigte die Wahl mit stabilem Programm und der Positionierung von Peter Hathazy als Regie-Gegenpol. Das wurde allerdings schnell zum Klippklapp-System von Klassik und Komödie, wo der rasant zunehmend konservative Spartenchef die aktuellen Tendenzen des zeitgenössischen Theaters aussperrte und plötzlich auf Klassik-Kunstgewerbe (wie bei Kleists „Amphytrion") umschaltete. Er hätte, von größeren Teilen des bürgerlichen Publikums hoch geschätzt, dennoch bleiben können, wäre es nicht im fünften Jahr um Machtverschiebung gegangen. Generalintendant Wulf Konold, ein Opern-Mann, bekam die formale Gesamtleitung des Großbetriebs - da warf Berg schmollend hin.
Konold musste selbst eine Saison Schauspieldirektor mimen und hatte dann Klaus Kusenberg an der Angel. Der Wander-Regisseur, zwei Jahrzehnte zuvor schon mal Dramaturg und Regieassistent in Nürnberg, wurde zum Glücksfall für die Krisen-Situation. Nicht unbedingt als aufregender Regisseur, aber in seiner zielstrebig ordnenden Chef-Funktion, die dem Bild des Zampano an der Ensemble-Spitze so erfreulich widerspricht. „Bei ihm läuft es nicht über Angst", schildert ein Mitarbeiter das System Kusenberg und ein weitgereister Gastregisseur rühmt verwundert, dass sich dieser Direktor im Gegensatz zu den meisten Kollegen doch tatsächlich „ganz ehrlich über die Erfolge anderer Freude kann". Damit schuf er Freiräume, gab er dem Ensemble Sicherheit und ist nun dabei, seine Amtszeit zur Ära auszubauen. Der Staatstheater-Stiftungsrat tat gut daran, schon vor der Berufung des Intendanten Peter Theiler die Direktion von Klaus Kusenberg bis 2013 festzuklopfen. Dieter Stoll
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