Abstimmung mit den Füßen
Nürnberg - „Das Babylonexperiment“– Probeneindrücke von einem Opernprojekt in der Gostenhofer Preißlerschule. Die Uraufführung auf dem Klarissenplatz im September markiert den Abschluss des 7. Internationalen Kammermusikfestivals.
Das hat Wucht: Rhythmisch stampfen 120 Füße auf den Boden. Dazu schwillt der Chorgesang der Schüler an: „Wir bauen, wir bauen, wir bauen einen Turm!“
In der Aula der Gostenhofer Preißler-Schule wird eine Szene aus der Oper „Das Babylonexperiment“ vom Londoner Komponisten Matthew King und dem Nürnberger Dramaturgen Michael Kerstan, einst Pressesprecher am Opernhaus, geprobt. Die Uraufführung auf dem Klarissenplatz bildet den Abschluss des 7. Internationalen Kammermusikfestivals im September.
Biblische Sprachverwirrung mit Migrationshintergrund
„Wann machen wir Pause?“, mault ein Mädchen. Die Kinder stöhnen und lassen die Köpfe hängen — kein Ausdruck schlechter Laune, sondern Teil des Librettos. Nicht nur der Chor wird von den Kindern verschiedener Schulen des Nürnberger Großraums bestritten; sie haben auch an der Entstehung der Texte und der Komposition mitgewirkt.
Passend zum Thema der biblischen Sprachverwirrung sind viele Schüler mit Migrationshintergrund dabei. Den Organisatoren um Kammersängerin Frances Pappas und Schauspieler Gero Nievelstein war es wichtig, dass Kinder aller Schultypen am Projekt teilnehmen können. „Toll ist, dass gerade die Hauptschulkinder alles aufsaugen, offen sind für Neues und das wirklich wollen!“, sagt Regisseurin Nina Kühner, 1999 bis 2001 Abendspielleiterin an der Nürnberger Oper. Gemeinsam mit Choreograph Alan Brooks, mit dem sie schon am Münchner Gärtnerplatztheater zusammengearbeitet hat, steht sie vor der Gruppe und muss ziemlich laut werden, um das Getuschel zu übertönen.
Gestisch macht das Regie-Duo vor, was es vom Chor sehen möchte, einen „Freeze“ zum Beispiel, das vollkommene Erstarren. Und was nicht: Brooks wackelt mit den Hüften, bohrt in der Nase. Die Kinder lachen, und Brooks hat ihre Aufmerksamkeit wieder.
Jetzt formieren sie sich zu zwei Gruppen. Dirigent Peter Selwyn, früher hier Kapellmeister mit Nähe zur Pocket Opera, übernimmt am E-Piano ziemlich schräg die Solistenpartien, damit der Chor seinen Einsatz findet – die internationalen Profisänger werden erst im September dazustoßen. Dann gehen die Blöcke aufeinander zu, singen sich kanonartig an, je länger, desto kraftvoller.
„Ihr habt dem Publikum was zu sagen!“
„Wir haben Kinder dabei, die keine Noten lesen konnten. Jetzt gehen sie richtig aus sich heraus und man merkt jeden Tag, wie sie besser werden“, sagt Kühner, die seit dieser Woche täglich mit dem frisch vereinten Chor probt.
Die Kinder und Jugendlichen sehen die zusätzliche Belastung gelassen. Aysegül (12) und Laxmi (14) von der Preißler-Schule finden „das Tanzen und Singen schön, aber auch anstrengend“. Dennoch freuen sie sich auf die Aufführung. Wie sie ist auch Selina (13) von der Anton-Seitz-Schule in Roth über ihre Lehrerin auf das Projekt aufmerksam geworden. „Ein bisschen Angst hab’ ich schon vor der Aufführung, weil man jeden Fehler sieht oder hört“, meint sie und lobt Pappas und Brooks: „Die sind so witzig und offen.“ Ihr Mitschüler Marco (14) ergänzt: „Das Beste ist, das es freiwillig ist“.
Und wieder ein Durchlauf: Die Kinder strecken singend Bilderrahmen in die Luft, Brooks korrigiert einzelne Schritte und Positionen über Blickkontakt. Dann ist die Probe zu Ende. Die Kinder fragen: „Wie viel haben wir schon geschafft?“ Kühner ist sich sicher: „Wir haben von gestern zu heute einen Riesenschritt gemacht.“ Und Brooks gibt den Kindern mit auf den Weg: „Ihr habt dem Publikum was zu sagen!“Georg Kasch
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