70 Jahre Massentourismus in Bayern: Reisen mit Schmetterling

Vor 70 Jahren war Bayern der Startplatz für den organisierten Tourismus im großen Stil. Bei zwei Ereignissen wurden die Signale gestellt. AZ-Reporter Karl Stankiewitz war als kritischer Chronist dabei.
von  Karl Stankiewitz
Reisen mit dem Touropa-Zug.
Reisen mit dem Touropa-Zug. © Archiv Karl Stankiewitz

München - Im November 1951 haben drei regionale Reisebüros in München eine Arbeitsgemeinschaft gebildet. Die damit gegründete "Touropa" organisierte zunächst private Bahnreisen mit Aufenthalten, die erstmals in der ganzen Bundesrepublik verkauft wurden. "Ferien wie noch nie" verhießen Plakate für den ersten Winter. Die Firma mit dem gelben Schmetterling als Symbol wuchs schnell zum größten Reiseveranstalter des Kontinents heran.

Dynamischer Treiber war Dr. Carl Degener, der - als kleiner NS-Parteigenosse - schon in Bremen und Berlin eine Größe auf dem Reisemarkt war. Noch vor der Münchner Gründung hatte dieser Degener in seinem Reduit Ruhpolding zusammen mit dem späteren Bürgermeister und Landrat Leonhard Schmucker und dem Volksschullehrer Toni Stengl einen Verein gegründet, der das Dorf im Chiemgau abermals, wie schon im Mai 1933, als der neue Reichskanzler Adolf Hitler Auslandsreisen durch Devisenbeschränkungen eindämmen wollte, zur Urlauberhochburg der Nation machen sollte.

Reisewelle nach Fresswelle

"Nach der Fresswelle kommt unweigerlich die Reisewelle," prophezeite der Mann, der bei den "Ruapadingern" eher als "der Preiß" oder "der Dokta" bekannt war. Sein Verein aktivierte die innere und äußere Werbung. Er schuf eine Wanderkarte, kaufte ein Kurheim, stellte 180 Orts- und Wegschilder sowie 90 Bänke und 50 Papierkörbe auf.

Zwei Blaskapellen in Tracht und ein Jodlerpärchen wurden ins Rheinland und nach Norddeutschland entsandt. Der Erfolg blieb nicht aus und Degener hatte Recht: Bis Ende 1951 vermehrten sich die Übernachtungen um satte 35 Prozent, und steil aufwärts ging es weiter.

"Der Bann war gebrochen", heißt es in der dicken Orts-Chronik. Er war in ganz Bayern gebrochen, nachdem für die Unterbringung von Flüchtlingen und für die amerikanischen Besatzer fast 100.000 Fremdenbetten vom Markt verschwunden und die touristischen Infrastrukturen angeschlagen waren.

Den blitzartigen Aufschwung bewirkten neben den eher seltenen örtlichen Initiativen, das anbrechende "Wirtschaftswunder" und die anrollende Mobilisierung.

Die Ferienzüge bringen den Reiseverkehr richtig ins Rollen

Vor allem aber beförderte den später sogenannte Massentourismus, der damals noch als Gesellschafts-, Pauschal-, Turnus- oder Gruppenreiseverkehr firmierte, die geballte Kraft der von alten, vereinzelt auch politisch belasteten Profis gemanagt wurde, die Münchner Touropa.

Sie konnte die bisher eingesetzten Ferienzüge mit ihren Holzbänken erst richtig ins Rollen bringen. Die wurden ab 1951 zunächst von der Brienner Straße aus ununterbrochen von Hamburg und Dortmund aus in den Chiemgau, ins Inntal und in den Bayerischen Wald expediert, schließlich auch nach Österreich, Italien und in die Schweiz. In allen Farben und mehreren Sprachen warben Zehntausende von Prospekten für das klassische Ferienziel Südbayern.

Im folgenden Geschäftsjahr 1952 standen alle Ferienzüge unter Volldampf. Bayern allein verzeichnete bereits einen Rekord von 4,5 Millionen Übernachtungen. (Die Zahl sollte sich dann noch verdoppeln). Keinen geringen Anteil an diesem Aufstieg zum deutschen Urlaubsparadies Nr.1 - später wurde Bayern dieser Rang vorübergehend durch zwei Küstenländer streitig gemacht - hatte die Touropa, die obendrein eine Schlüsselrolle im Welttourismus übernahm. Der Expansion waren keine Grenzen gesetzt.

Ein Werbeprospekt preist die Fahrt nach Ruhpolding an.
Ein Werbeprospekt preist die Fahrt nach Ruhpolding an. © Archiv Karl Stankiewitz

Die Ferienmacher in München "belieferten" nicht nur die zahlreichen Ferienregionen in heimischen Landen mit gut zahlenden Gästen, sie profitierten auch davon, dass sich klassische Urlaubsorte mit Staatshilfe allerlei Attraktionen leisteten: vielleicht eine Spielbank oder einen Schwebelift oder Tanzschiffrundfahrten an einem voralpinen See.

In Ruhpolding eröffnete das erste Hallenbad mit salzhaltigen "Meereswellen" - und dem Reporter wurde dort gleich die Brieftasche geklaut - , während Reit im Winkl mit dem ersten FKK-Hotel locken konnte. Im Schmetterlingshaus entwickelte ein eigener Sachbearbeiter die touristische Bestsellermarke "Freikörperkultur".

Das Jahrzehnt, in dem die Deutschen richtig reisen lernten, endete mit neuen, großartigen Projekten. Mit ihren Konkurrenten Scharnow und Hummel machte die Touropa eine gemeinsame Agentur auf, die bereits für das erste Jahr über 700 Urlauberflüge, überwiegend nach Mallorca, abwickeln konnte. Diese Expansion trug wiederum dazu bei, dass bald jeder dritte und schließlich jeder zweite Bundesbürger seinen Urlaub im Ausland verbrachte. Immer neue, fernere, teilweise "unberührte" Ziele wurden touristisch "erschlossen", nicht immer zu deren Vorteil.

Nach einer Reportage über Schottland folgt der Verzicht auf das Ziel

Ein nicht versiegender Quell auch für Journalisten am Standort München. In einer "Touristischen Montagsrunde" tauschten sie Informationen mit Großveranstaltern und anderen Experten aus. Gelegentlich diente unsereiner - mehr oder weniger bewusst - als Tester oder Vorreiter. So wollten die Einkäufer der Touropa nach meiner kritischen Reportage über die regenreiche Atlantikküste Schottlands lieber erst mal auf die anvisierte Destination verzichten.

Im Jahr 1959 bezog der gelbe Schmetterling einen prächtigen Neubau in der Münchner Prinzregentenstraße. Die Zahl der angestellten Ferienmacher stieg indessen von 37 auf über hundert, die in fünf Etagen Pauschalreisen wirklich in die ganze Welt bearbeiteten. Längst waren auch die sozialistischen Länder sowie frühere "Feindstaaten" - insbesondere das damalige Jugoslawien - auf der touristischen Landkarte verplant. Erstmals wurden die Buchungen per Computer bearbeitet.

Ende 1979 wurde aus der Touropa die Touristik Union International

Geschäftsführer der Touropa war inzwischen nicht mehr Degener, dessen Ruhpoldinger Ruhelosigkeit und dessen fantastische Pläne zu Land, zu Wasser und in der Luft einigen Partnern nicht mehr recht passten. Chef war nun der vom Amtlichen Bayerischen Reisebüro (ABR) kommende Ernst Esser, ein Sohn von Hermann Esser, welcher ein Duzfreund von Hitler war, Rivale und Erzfeind von Goebbels, Münchner NS-Stadtrat und - als Reisen samt organisierter "Kraft durch Freude" zum Marschieren wurde - Beauftragter für Fremdenverkehr des Dritten Reiches.

Gut zwanzig Jahre lang flatterte der gelbe Schmetterling hoch über Münchens Prachtstraße. Ende 1979 wurde die Touropa formal und personell in die Touristik Union International überführt, in die heute noch weltmarktführende TUI. Der oberste Touropäer Ernst Esser versuchte noch, aus dem Verwaltungsgebäude ein "Haus des Reisens" machen.

Das scheiterte ebenso wie viele Jahre zuvor die Idee, eine "Internationale Tourismusbörse" (ITB) in der viel bereisten Bayernmetropole anzusiedeln. Hatte dies seinerzeit das Desinteresse städtischer Behörden verhindert (die ITB kam höchst erfolgreich nach Westberlin), so war es jetzt der TUI-Vorstand in Hannover, der eine Superzentrale und ein Schaufenster der Weltindustrie Tourismus lieber bei sich zuhause haben wollte.


Karl Stankiewitz veröffentlichte vier Büchern zur Tourismusgeschichte, denen einige exklusive Informationen entnommen sind.

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