5 Lügen über Ritter Eppelein

NÜRNBERG Für Touristen ist das Wahrzeichen der Stadt, die Kaiserburg, ein Muss. Hunderttausende strömen jedes Jahr dorthin – und bleiben früher oder später an einer bestimmten Stelle der Burgmauer stehen: Hier soll der berüchtigte Raubritter Eppelein von Gailingen vor 600 Jahren mit seinem Pferd in die Tiefe gesprungen sein, um dem Henker zu entkommen.
Die Einkerbungen in der Mauer – es sind die Hufabdrücke des Pferdes, erzählt jeder Fremdenführer. Die spannende Geschichte hat nur einen kleinen Schönheitsfehler: Sie ist frei erfunden...
Michael Diefenbacher, Chef des Nürnberger Stadtarchivs, ist der intimste Kenner der Stadtgeschichte. Er kennt jedes Detail aus dem Leben Eppeleins. Doch wie die Hufabdrücke seines Pferdes in die Burgmauer gekommen sein könnten, ist selbst für diesen ausgewiesenen Fachmann ein Rätsel. Diefenbacher: „Es gibt keine erhalten gebliebenen historischen Unterlagen, die die Sage in irgendeiner Weise belegen.“
Die fünf Eppelein-Lügen:
Lüge 1: Die Mauer Wilhelm Mittermaier von der Burgverwaltung hält sich mit der Frage erst gar nicht lange auf. Sein eindeutiger Kommentar: „Diese Hufabdrücke können gar nicht von Eppeleins Pferd stammen.“ Er hat alte Bücher und Unterlagen gewälzt und ist sich seitdem absolut sicher: „Das Mauerstück mit den Hufabdrücken, das die vielen Touristen heute so andächtig bestaunen, entstand erst rund 50 Jahre nach Eppeleins Tod.“
Lüge 2: Der Abstand Noch verwirrender wird das Ganze, wenn man sich die Spuren genauer anschaut. Wilhelm Mittermaier: „Bei Restaurationen in der Nachkriegszeit unterlief ein handwerklicher Fehler. Versehentlich wurde ein Stein zuviel eingebaut.“ Jetzt liegt fast ein Meter Abstand zwischen den beiden Abdrücken. Das aber ist entschieden zu viel: So groß kann Eppeleins Pferd natürlich nicht gewesen sein.
Lüge 3: Das Gewicht Aber es ist nicht nur die Größe des Pferdes, die die Episode aus dem Mittelalter eher unwahrscheinlich macht. Alexander Kolley, Physik-Experte vom Fraunhofer Institut, rechnet nach – und kommt ebenfalls zu einem eindeutigen Ergebnis. „Das Tier“, sagt er, „hätte mindestens drei Tonnen schwer sein müssen, um solche Abdrücke in der Mauer der Kaiserburg zu hinterlassen.“ Zum Vergleich: Ein Schlachtross wie das von Eppelein wiegt „nur“ rund 600 Kilo.
Lüge 4: Hammer und Meißel Hartnäckigen Gerüchten zufolge sollen Bedienstete des Bauamts hin und wieder sogar mit Hammer und Meißel ein bisschen nachhelfen, um Eppeleins Spuren der Vergänglichkeit zu entreißen. Doch dazu will sich von der städtischen Behörde keiner so richtig konkret äußern.
Lüge 5: Die weiteren Spuren Die wundersame Vermehrung der Hufabdrücke geht eindeutig auf das Konto der Touristen. Vor allem Schüler machen sich einen Spaß daraus, neue Abdrücke in den porösen Sandstein der Mauer zu kratzen. Acht Stück sind’s derzeit. So viele Beine hat wirklich kein Pferd.