"Geht um ein deutliches Zeichen": Warum die Direktorin des NS-Dokuzentrums in München mitdemonstriert
AZ: Frau Zadoff, das NS-Dokumentationszentrum ist auch Teil des großen Münchner Bündnisses, das die Demonstration gegen rechts am Sonntag unterstützt. Warum?
MIRJAM ZADOFF: Wie könnten wir nicht dabei sein? Unsere Aufgabe ist die Erinnerung an den Nationalsozialismus. Und wir stehen in der Tradition von Max Mannheimer, der gesagt hat "Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschah. Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon." Ich beobachte mehr und mehr, dass sich politische Sprache und Inhalte einem faschistischen Weltbild annähern und dass man sich dafür nicht mehr schämt oder entschuldigt. Sondern wie in Potsdam über die Deportation von ethnisch anders wahrgenommenen Menschen und deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern spricht.

Worum geht es Ihnen bei der Teilnahme konkret?
Uns als Institution und mir als Einzelperson geht es darum, solidarisch zu sein mit all jenen, die von dieser zusehends aufgehetzten Stimmung betroffen sind. Mit vulnerablen Gruppen, bei denen diese Szenarien existenzielle Angst auslösen und nicht nur Empörung. Sie brauchen klare zivilgesellschaftliche Bündnisse, die sichtbar und laut zu hören sind. Es geht um deutliche Zeichen, nur dagegen sein, reicht nicht.
Die Recherchen von "Correctiv" haben für ein großes Echo gesorgt.
Ja, und wir hören vom Verfassungsschutz, aber auch Juristinnen und Richterverbänden, wie extrem gefährlich dieser Moment für die deutsche Demokratie ist. Was in Österreich, Ungarn, Italien oder Frankreich passiert, kann auch hier passieren. Wir sind nicht immun dagegen, ganz im Gegenteil.
Chefin des NS-Dokumentationszentrums in München übt Kritik an Minister Hubert Aiwanger
Wie schätzen Sie die aktuelle Lage ein bezüglich rechtsextremer Tendenzen in Deutschland?
Es gibt inzwischen sehr bedenkliche, offene Bündnisse zwischen etablierten Parteien aus dem rechten Spektrum und extremistischen Neonazis, die deren Politik inhaltlich füttern. Und das nicht nur in Deutschland. Martin Sellner (der bei dem Treffen in Potsdam die Deportationspläne vorstellte, d. Red.) kommt zum Beispiel aus Österreich.

Dass es diese Allianzen gibt, ist das eine. Die Reaktion der demokratischen Parteien das andere.
Fast das größere Problem ist, dass rechtsextreme Parteien in Europa die Themen der bürgerlichen Mitte zunehmend vorgeben. Das heißt, dass die bürgerlichen Parteien, nicht nur die rechts von der Mitte, sich die Themen vorgeben lassen. Das sieht man aktuell in der Asyl- und Migrationspolitik. Auch in Bayern, wo die CSU-Regierung diese Woche vorgeschlagen hat, zur Verschärfung der Asylpolitik das Grundgesetz umzuschreiben, also sich zu distanzieren von dem Konsens, der ein Ergebnis des Zweiten Weltkriegs war.
Neben der Migrationspolitik gibt es keine Themen mehr?
Kulturkampfthemen wie das Gendern werden bewirtschaftet, aber nicht die wirklichen Fragen wie der Strukturwandel oder die wachsende Schere zwischen arm und reich. Stattdessen werden populistische Themen so lange aufgebauscht, bis man das Gefühl hat, es gebe keine anderen Probleme.
Großdemos in München: Rechtsextreme Allianzen und die Herausforderungen für die Demokratie
Im vergangenen Herbst gingen kurz vor der Landtagswahl 35.000 Menschen in München auf die Straße gegen rechts. Was ist jetzt anders als damals?
Damals ging es um die Zuspitzung von Hass und Hetze im Wahlkampf, um die Aiwanger-Debatte und die damit einhergehende Holocaustbanalisierung. Es ist aber nicht so, dass die Wahl vorbei ist und sich alles wieder normalisiert hat. Die populistische Zuspitzung geht ja weiter – und nicht nur vonseiten des stellvertretenden bayerischen Ministerpräsidenten oder der AfD. Außerdem stehen mit dem Super-Wahljahr in Deutschland und auf der ganzen Welt große Veränderungen an, möglicherweise hin zu autokratischen und von ihren Inhalten her faschistischen Führungsfiguren. Die bei den Wähler*innen punkten wollen mit unerhörten Forderungen wie der Deportation von Menschen, die sie als nicht zugehörig markieren. Polen ist da momentan ein großer Hoffnungsschimmer, wo sich die Bevölkerung widerständig zeigt und die Demokratie zurückholt. Um einen sichtbaren Widerstand geht es auch bei uns, deshalb gehen die Menschen jetzt auf die Straße. Um zu sagen: Ich bin dagegen, dass Minderheiten, dass Einzelne um ihre Existenz, ihre Zukunft in diesem Land bangen müssen.

Beweise, dass die AfD zumindest zu großen Teilen rechtsextrem ist, werden schon seit Jahren gesammelt und publik gemacht. Ist ein AfD-Verbot Ihrer Meinung nach richtig?
Dass jetzt über ein AfD-Verbot gesprochen wird, ist wichtig, weil damit klar benannt wird, was eine demokratische Partei ist, die diesem Rechtsstaat mit seinen Werten, Regeln und Gesetzen entspricht – und was nicht. Aber ein Verbot wird nicht einfach umzusetzen sein, und auch nicht alle Probleme lösen.
Von der CSU kam just diese Woche ein großer Aufschlag zur Migrationspolitik.
Unter anderem mit einem Statement zu einer "Integrationsgrenze” (von Ministerpräsident Markus Söder, d. Red.). Sie hat dabei nicht einmal mehr pragmatische Gründe angeführt für eine Reform. Es geht rein darum, dass man nicht will, dass sich mehr Leute integrieren. Das ist eine absurde Wahrnehmung, hinter der ein "Wir” und ein "Ihr” stecken – was sehr gefährlich ist.
AfD-Verbot: Chancen und Herausforderungen aus Sicht von Mirjam Zadoff
Warum?
Das hat uns die NS-Ideologie eingebläut und das hat sich sehr lange gehalten. Diese Vorstellung, es gebe eine homogene deutsche Bevölkerung und alle anderen gehören irgendwie nur dann dazu, "wenn wir es ihnen erlauben”. Deutschland ist aber seit Hunderten von Jahren – mal mehr, mal weniger - ein Immigrationsland. So leben wir, es ist einfach so.
Zurück nach München: Was erwarten Sie von der Demo am Sonntag?
Dass wir alle – und vor allem jene ermutigt werden, die jetzt betroffen sind von diesen existenziellen Ängsten und Nöten, die aus dieser Stimmung der rassistischen und antisemitischen Hetze entstehen. Dass die Gesellschaft ganz klar sagt: Wir schützen einander und die, die es jetzt brauchen, die berührt werden von dieser Attacke. Weil sie aufgrund ihrer Herkunft, aber auch aufgrund ihrer Sichtbarkeit verletzbarer sind.
Und für danach?
Dass die Demo uns auch dessen versichert, dass ganz vieles in unserer Hand liegt und es noch nicht so ist, dass wir uns die Demokratie zurückholen müssen. Wir sind die demokratische Mehrheit, der Großteil der Menschen will keine extremistische Partei an der Regierung. Aber wir brauchen jetzt – auch aus der Politik – klare Positionierungen gegen rechts. Nicht in den Sonntagsreden, sondern im politischen Handeln.
Finden Sie es gut, dass politische Parteien (bis auf wenige Jungparteien) nicht angefragt wurden, an dem Aufruf teilzunehmen?
Auf jeden Fall. Politikerinnen und Politiker sind trotzdem herzlich willkommen. Ich würde mir aber wünschen, dass besonders Regierungsvertreter*innen aufhören würden, populistisch von "denen da oben" zu reden, denn das sind ja sie selbst. Oder so zu tun, als wäre der wachsende Zuspruch zur AfD eine schicksalhafte Welle, der man nichts entgegensetzen kann. Man kann etwas dagegen tun, als Kanzler oder Ministerpräsident*in, aber nicht, indem man deren Themen und Argumente übernimmt.